Rätselhafter Toplitzsee

Ausseer Spezialitäten: In Gößl am oberen Ende des Grundlsees wird Jahr für Jahr ein Dorfrichter oder eine -richterin gewählt. Ein paar Meter weiter in Richtung Talschluss nahm eine der wohl ungewöhnlichsten Lieben der Monarchie ihren Anfang. Und der Toplitzsee ist ein bis heute von Legenden und Geheimnissen umrankter Ort.

 

Dunkel und unergründlich liegt er in seinem Talkessel, umrahmt von schroffen Felsen und eleganten Baumriesen. Allein die Vorstellung, im Toplitzsee zu schwimmen, verursacht Gänsehaut – was nichts mit Wassertemperaturen zu tun hat. Die Frage ist vielmehr: Wer weiß schon, was da unten, in einer sinistren, kalten Tiefe von 103 Metern, alles existiert? Da hilft auch wenig, dass bekannt ist, warum der See so abgrundtief dunkel erscheint: Aufgrund von Solezuflüssen in Bereichen unter zwanzig Metern hat das Wasser dort einen höheren Salzgehalt, womit es am Übergang zwischen salzhaltigen, optisch dichteren, und salzärmeren, optisch dünneren, Schichten zum physikalischen Phänomen der Totalreflexion kommt – Lichtstrahlen bleiben gefangen, der See erscheint schwarz. Der bis zu einem Viertelmeter lange Lumbricus cf. Polyphemus, kurz: Toplitzseewurm, wurde 1983 entdeckt. Dass der Wurm im sauerstofflosen, aber schwefelwasserstoffhaltigen Tiefenwasser des Sees lebt, klingt ebenfalls nicht besonders vertrauenerweckend. Und ob das schon alles an mess- und überprüfbaren Eigenheiten ist, die dieser kleine See zu bieten hat, kann mit Sicherheit niemand beantworten. 

Der Toplitzsee, in dem sich immerhin tiefgrün der ihn umgebende Wald spiegelt, verdankt so manche Legenden und Geschichten auch seiner abgeschiedenen Lage, die sich hervorragend für allerlei Konspiratives eignet. Zum Beispiel die für die Zeit von 1943 bis 1945 verbürgte emsige Aktivität einer Außenstelle der TVA Eckernförde. TVA steht für die Torpedoversuchsanstalt der deutschen Kriegsmarine während des Zweiten Weltkriegs, die hier eine Reihe waffentechnischer Versuche durchführte. Am Ende des Kriegs, Anfang Mai 1945, versenkten die Nazis dann Kisten voller gefälschter britischer Pfundnoten im See, die von Häftlingen in der Fälscherwerkstatt des Konzentrationslagers Sachsenhausen hergestellt worden waren, um die britische Wirtschaft auszuhebeln. 

Nach einem Hinweis auf diesen »Schatz« von dem Journalisten Wolfgang Löhde machten sich 1959 die ersten Taucher auf den Weg in den Abgrund. Was sie ans Tageslicht brachten, waren siebzehn, bis an den Rand mit falschen Pfundnoten gefüllte Kisten, deren Inhalt einen Gegenwert von insgesamt rund 175 Millionen Euro darstellte. Nach diesem spektakulären Fund wurde es so richtig hektisch am stillen Toplitzsee, da sich zahlreiche Taucher von dem Gerücht anlocken ließen, die Nazis hätten im See auch Echtes versenkt: kiloweise Gold und Edelsteine, Kunstgegenstände und sogar die Ziffern der Nummernkonten, die sich manche Nazi-Granden in der Schweiz eingerichtet hatten. 

Anfang der 1960er-Jahre begannen die vielen, teils legalen, teils illegalen Expeditionen. Als 1963 ein Taucher ums Leben kam, nahm man die Suche nach dem Leichnam zum Anlass, den See zu kartieren. Man entdeckte, dass zahllose Baumstämme unter Wasser treiben, die nicht verrotten, dass das Seewasser ab einer Tiefe von rund zwanzig Metern keine Sauerstoffanteile mehr aufweist und – sonst nichts. Für die folgenden zwei Jahrzehnte verhängte man ein Tauchverbot. 

1983, als man sich legal wieder in die Tiefe wagen konnte, entdeckte man im sauerstofflosen, dafür aber schwefelwasserstoffhaltigen Tiefenwasser den Wurm, und im Jahr 2000 fanden Taucher unter großem Medienjubel eine weitere Kiste. Ihr Inhalt entpuppte sich als nur mäßig gelungener Scherz: Bierkapseln, die ein paar gutgelaunte Stammtischmitglieder versenkt hatten. Der Mythos vom versenkten Gold, ja sogar jener, dass sich in den Tiefen des Sees das verschollene Bernsteinzimmer aus dem Sankt Petersburger Katharinenpalast befinden würde, hält sich trotz alldem hartnäckig seit Jahrzehnten.

Doch der Toplitzsee hat alle möglichen, vielleicht sogar wahrscheinlichen Geheimnisse bislang für sich behalten. Und das wird er wohl auch weiterhin, denn 2009 wurde für neunundneunzig Jahre ein Tauchverbot erlassen.

Vielleicht ist es ja auch klüger, dem See seine Rätselhaftigkeit zu lassen und sich im Garten der Fischerhütte an die romantische Geschichte zu erinnern, die sich eines heißen Sommertages im Jahr 1819 hier zutrug, als Erzherzog Johann der jungen Anna Plochl erstmals begegnete. Und dann kann man sich, eventuell nach einem gebratenen Saibling aus einem der Ausseer Seen, getrost auf einer Plätte niederlassen, an den beiden Wasserfällen vorbei ans obere Ende des Sees fahren und den kurzen Spaziergang zum Kammersee unternehmen. 

Foto © J. Aigner

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